Ronny Blaschke ist sicherlich vielen von euch ein Begriff. Der Journalist war bereits mehrmals bei uns zu Gast, um seine Bücher vorzustellen, die sich mit gesellschaftspolitischen Fragen des Fußballs auseinandersetzen. Kürzlich erschien mit „Machtspieler“ sein neues Buch, welches er auch auf dem „Gegengerade“ Festival vorgestellt hätte. Wir haben ihm unter anderem dazu ein paar Fragen beantwortet.
Moin Ronny, schön, dass du dir Zeit genommen hast, uns ein paar Fragen zu beantworten. Wie geht es dir?
Ich habe versucht, die Corona-Zeit zu nutzen. Ich habe mein Spanisch aufgefrischt und bin viel durch Berliner Bezirke spaziert, die ich noch nicht so gut kenne. Und ich habe mich an Webinare, Zoom-Konferenzen und Interviews via Skype gewöhnt. Diese digitale Entwicklung hätte sonst wesentlich länger gedauert.
Inwieweit hat sich die Corona-Krise auf deine Arbeit als Journalist ausgewirkt?
Die rund 20 Lesungen und Vorträge, die zu meinem neuen Buch „Machtspieler“ geplant waren, sind ebenso ausgefallen wie die Leipziger Buchmesse. Zum Glück hatte ich bis zum Februar etliche Recherchereisen abgeschlossen, so konnte ich noch einige Radiobeiträge und Artikel produzieren, die nicht an sportliche Wettbewerbe gebunden waren. Ich hoffe, dass uns eine zweite Welle verschont bleibt.
In diesem Monat wärst du bei unserem „Gegengerade“ Festival zu Besuch gewesen, um dein neues Buch „Machtspieler“ vorzustellen. Worum geht es in dem Buch?
Es geht um Fußball und Politik. Wobei diese Themen für mich keine Gegensätze darstellen. Sie gehören schon immer zusammen. Im Iran hat der Schah schon vor 100 Jahren versucht, westliche Werte über den Fußball in eine konservative Gesellschaft zu bringen. In Ägypten haben sich Nationalisten über den Verein Al-Ahly gegen britische Besatzer gewehrt. In Algerien haben sogar Fußballer in den 50er Jahren gegen die französische Kolonialmacht gekämpft. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen. Auf den ersten Blick wirkt Fußball, dieses einfache Spiel, unpolitisch und damit unverdächtig. Aber es ist beliebt, es erreicht Menschen aus allen Milieus, und damit können es eben auch alle als Projektionsmittel nutzen, und als öffentlichkeitswirksame Plattform.
Wie kam die Idee zu dem Buch zustande und wie lange hast du daran gearbeitet?
Ich hatte mich etliche Jahre mit Rechtsextremismus und Diskriminierungsformen rund um den deutschen Fußball beschäftigt. Irgendwann ist das Interesse an internationalen Aspekten weitergewachsen, und ich ging zunehmend auf Reisen. Ich habe das Buch nicht als gekränkter europäischer Fan geschrieben, dem von arabischen Autokraten das wahre Spiel gestohlen wurde. Ich versuche alle Perspektiven ernst zu nehmen. An der WM in Katar interessiert mich weniger, was das für uns bedeutet. Sondern: warum macht Katar das? Seit 2017 wird Katar von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten boykottiert. Ohne die guten Beziehungen in den Westen, also zu Politik und Kultur, aber auch zu Fifa, PSG und den Bayern, wäre Katar vielleicht schon von seinen Nachbarn angegriffen worden. Katar hat nur 2,5 Millionen Einwohner, ist aber geopolitisch ein Riese. Das kann man gut oder schlecht finden, aber das ist so. Und wir sollten uns genau mit der Motivation beschäftigen. Mit Unterbrechungen habe ich an dem Buch etwa drei Jahre gearbeitet.
Vor zehn Jahren waren Ägyptische Ultras an den Massenprotesten gegen das Mubarak Regime beteiligt. Wie verhält sich die Situation rund zehn Jahre später? Sind die Ultras noch aktiv?
Das Stadion als sozialer Freiraum: dieses Thema war für mich sehr wichtig bei den Recherchen, nicht nur in Ägypten. Große Männergruppen, oft emotional, oft aggressiv. Diese ständigen Abgrenzungsrituale zu anderen Fans, und das in einer weitgehend anonymen Fankurve, die man schwer kontrollieren kann. Gerade diese geheimnisvolle Subkultur der Ultras, die hat früh auch bildungsferne Jugendliche in politische Milieus integriert. Und dann haben Ultras eben auch den Straßenkampf gegen die Polizei verinnerlicht, ganz praktisch: Barrikaden aufbauen, Wasserwerfer abwehren, Verletzte in Sicherheit bringen. Und in vielen Ländern haben diese Fußballfans Protestbewegungen gestärkt oder sogar entfacht: In Ägypten beim Arabischen Frühling. Oder erst letztes Jahr in Algerien beim Sturz des Langzeitherrschers Bouteflika. Die Konsequenz ist dann aber oft: Ultras werden von Geheimdiensten nun strenger überwacht. Und damit wächst die Repression allgemein. In Ägypten sind hunderte Ultras in Haft, viele sind von ihnen bei Straßenschlachten ums Leben gekommen.
Ebenfalls sind uns noch die Proteste türkischer Ultras bekannt, die an den Protesten im Gezi Park 2013 beteiligt waren. Wie hat es sich dort nach den Protesten weiterentwickelt?
Wir haben noch die Geschichten um Gezi im Hinterkopf, einige Filme glorifizieren die Rolle der Ultrakultur – aber im Buch erkläre ich, was danach passiert ist: Viele haben sich abgewandt vom Fußball. Sie würden gern weiter protestieren und gegen Erdoğan singen, aber das ist kaum noch möglich. Erdoğan langt streng zu. Mit Videoüberwachung und einem Ticketsystem, wo viele Daten gespeichert werden. Das hat die Fankultur geschwächt. Viele weichen auf andere Sportarten aus, einige leben im Exil oder haben ganz aufgegeben.
Derzeit spielt der Fußball vor allem in China eine wichtige Rolle. In der Saison 2017/18 sollte die Zusammenarbeit des Chinesischen Verbandes mit dem DFB verstärkt werden, indem das U20 Team in die Regionalliga Südwest integriert wurde, was zu zahlreichen Protesten führte. Was soll damit erreicht werden und kannst du uns Näheres über die Situation in China berichten?
Die Kommunistische Partei hat alles unter Kontrolle: Wirtschaft, Kultur – und auch den Fußball. Nicht nur, um die Gunst der Europäer zu gewinnen, sondern aus wirtschaftlichen und geopolitischen Gründen. Den China sollen Sportartikel und Merchandise den Konsum ankurbeln. Die großen Unternehmen hören genau auf die Signale von Präsident Xi Jinping. Sie fördern inzwischen weniger europäische, sondern eher heimische Profivereine. Sie hoffen auf das Wohlwollen des Politbüros. Zudem finanzieren die Chinesen als Teil der „Neuen Seidenstraße“ neue Stadien in Gabun oder Angola. Im Gegenzug erhalten sie werte volle Rohstoffe. Man kann das als neokolonial bezeichnen – oder als clevere Expansion. Verbände wie der DFB sollten sich da nicht einspannen lassen.
Welche Bedeutung hat der Fußball für den Nahen Osten?
Eine sehr große, zum Beispiel in Syrien. Baschar Al Assad hat den Bürgerkrieg ja praktisch gewonnen. Und obwohl er nicht als großer Fußballfan bekannt ist, nutzt er den Fußball als Propagandamittel. Vor allem, um wieder Normalität vorzuspielen. Denn die braucht er auf der Suche nach Investoren für den Wiederaufbau des Landes. Assad hat sich mehrfach mit Nationalspielern öffentlich gezeigt. Und auch die Fußballliga fand eigentlich während des Krieges statt, zumindest in einigen Städten. Dann gab es aber auch Stadien, die als Gefangenenlager genutzt wurden. Aus denen sogar Raketen abgefeuert wurden. Da war Fußball also ein Teil von militärischer Infrastruktur.
Wie verhält sich die Situation in Deutschland? Sind dir auch hier Beispiele bekannt für die Instrumentalisierung des Ballsports?
Natürlich nutzen auch demokratische Politiker den Fußball, besonders berühmt ist bei uns der Kabinenbesuch der Kanzlerin. Der Unterschied ist aber: wir können uns in Deutschland noch Jahre später darüber aufregen und lustig machen. Opposition, Menschenrechtler und Medien können das ganze differenziert oder auch polemisch aufgreifen. Das geht in autokratisch und diktatorisch regierten Ländern nicht. Im Irak zum Beispiel hatte der Sohn von Saddam Hussein in den neunziger Jahren kritische Fußballer foltern lassen. Auf der anderen Seite hat der Irak aber auch 2007 die Asienmeisterschaft gewonnen. Das wäre so, als würde bei uns der Kosovo die Europameisterschaft gewinnen. Nach Jahrzehnten von Krieg und Terror hat das irakische Team Volksgruppen hinter sich versammelt, die sich sonst eher feindlich begegnen. Der Fußball hat dort also Hoffnung vermittelt, auch für Wirtschaft und Kultur.
Welchen Eindruck hast du von den Aktivitäten von VfB für Alle?
Wenn im Fußball alle Vereine und Netzwerke ein so breites Engagement entwickeln würden wir Ihr, dann hätten wir in der Gesellschaft weniger Probleme. Es ist beeindruckend, wie VfB für Alle seit Jahren beharrlich für einen vielfältigen Sport eintritt. Bitte weiter so!
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und alles Gute!
Foto Ronny Blaschke: Sebastian Wells
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