Interview: Agentur für Soziale Perspektiven

Fußball ist ein beliebtes Rekrutierungsfeld für Rechtsradikale. Selbige geben sich im Stadion jedoch nicht mehr deutlich zu erkennen. Das Klischee des Bomberjacke tragenden Skinheads in Springerstiefeln ist längst überholt- inzwischen gehen Neonazis vielmehr dazu über, versteckte Erkennungsmerkmale zu verwenden, die Szenefremden oft unbekannt und immer schwieriger zu entschlüsseln sind. Hierbei orientieren sich die Nazis vor allem an der stilistischen Ausrichtung anderer Jugendkulturen.
 Die Agentur für Soziale Perspektiven (ASP) hat es sich zur Aufgabe gemacht, über rechte Erscheinungsformen aufzuklären und bringt seit 2001 in regelmäßigen Abständen die Broschüre „Das Versteckspiel“ heraus, von der inzwischen über 120.000 Exemplare vertrieben worden sind. Wir halten die Arbeit der Agentur für unterstzützenswert und haben den Mitarbeiter_innen deshalb einige Fragen gestellt…
 
Zu Beginn stellt euch doch zunächst mal unseren Leser_innen vor…
Wir sind die Agentur für Soziale Perspektiven ASP in Berlin. Bei uns arbeiten mehrere Menschen, unsere Arbeit wird zum größten Teil ehrenamtlich geleistet. Wir sind vernetzt mit vielen antifaschistischen Initiativen in ganz Deutschland. Ein Ergebnis dieser Vernetzung ist zum Beispiel die Broschüre Versteckspiel, die wir seit 2001 mittlerweile in der elften Auflage herausgeben und von der wir schon über 120.000 Exemplare vertrieben haben.
Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel. Schon längst entspricht dies nicht mehr dem gängigen Bild eines Neonazis. Woran können wir diese heutzutage erkennen?
Zuerst einmal lassen sich Neonazis immer noch am Deutlichsten daran erkennen, dass sie neonazistische Sprüche ablassen und / oder in einer entsprechenden Gruppe, wie zum Beispiel in einer neonazistischen Kameradschaft oder in der NPD, organisiert sind. Es gibt allerdings auch viele Neonazis, die sich allenfalls im Rahmen einer „Clique“ bewegen und für die das „Politische“ nicht so sehr im Vordergrund steht – dann wird die Einordnung oft schon schwieriger. Vom Äußeren her lassen sie sich fast immer anhand von Symbolen und sonstigen Erkennungszeichen – wie zum Beispiel „Kameradschafts“-Shirts, Merchadise-Produkten einschlägiger Bands, aber auch interner Codes – zuordnen. Wobei man da oft genauer hingucken muss.
Überhaupt scheint sich die rechtsradikale Szene in den vergangenen Jahren grundlegend verändert zu haben. Wie lässt sich die Entwicklung beschreiben?
Nein, grundlegend geändert hat sich diese Szene nicht. Zumindest nicht, was ihre politische Ideologie angeht und ihre Bereitschaft, Gewalt anzuwenden gegen alle die, die nicht in ihr Weltbild passen. Was sich hingegen sehr wohl geändert hat, ist der Style. Nur noch eine Minderheit der Szene tritt als Skinheads oder „Scheitelträger“ auf. Stattdessen haben Strömungen wie die Autonome Nationalisten Zulauf, die cool und popmodern auftreten, die auch von linken Gruppen abkupfern. Wir haben neonazistische Black-Metal-Fans, neonazistische Hip-Hopper etc. Grundlegend lässt sich die Entwicklung so beschreiben, dass man nicht mehr von einer Neonaziszene reden kann, sondern viel eher von einem Konglomerat unterschiedlicher Szenen, die mal mehr, mal weniger miteinander zu tun haben. DIE NEONAZIS, das gibt es eigentlich so nicht mehr.
Sind auch ideologische Veränderungen ausmachbar?
Nein. Würden sie sich ideologisch ändern, wären es ja keine Nazis mehr. Das ist ihnen auch wichtig. Selbst die Autonomen Nationalisten, die ja immer soooo modern rüberkommen wollen, legen großen Wert darauf, „richtige Nazis“ zu sein – obwohl das ja eigentlich schon ein Widerspruch in sich ist. Was sich geändert hat, ist die Themenpalette und die Art und Weise, wie man alten Mist neu aufbereitet und nach außen verkauft. Neonazis versuchen zum Beispiel in der Tierschutzszene mitzumischen, sie nennen sich Globalisierungsgegner (was sie zweifelsohne auch sind) und verbreiten darüber knallharten Antisemitismus – nur eben, dass sie häufig „Juden“ nicht bei Namen nennen, sondern von einer „fremden Macht“ faseln, die eine Weltregierung stellen und alle „Völker“ dieser Welt unterdrücken würde. Für Menschen mit einem Normalmaß politischer Bildung ist das relativ einfach zu erkennen, für andere – und das sind viele – dann eben nicht so einfach.
Welche Aktionsformen werden von Neonazis heutzutage genutzt?
 Erst mal die Klassiker: Aufmärsche, Kundgebungen, Infostände, Konzerte, nächtliche Schmier- und Klebeaktionen, spontane und geplante Überfälle. Darüber hinaus gehen sie auf Veranstaltungen politischer Gegner, wollen dort mitreden, die Veranstaltung sprengen oder zumindest eine Diskussion unmöglich machen. Sie tauchen auf Friedensdemonstrationen auf, wollen mitlaufen, denn „für den Frieden“ sind sie ja angeblich auch (Parole: „Nie wieder Krieg nach unserem Sieg…“). Seit ein paar Jahren führen sie auch konspirativ geplante Aufmärsche durch, die wie Flashmobs wirken, aber keine sind, denn sie werden oft über Wochen geplant. Über verdeckte Mobilisierungssysteme und Schleusungspunkte tauchen beispielsweise 150 Neonazis am späten Abend in einer Kleinstadt auf, setzen sich Masken auf und marschieren mit Fackeln und parolenschreiend eine halbe Stunde durch die Stadt. Wenn dann die Polizei genügend Kräfte gesammelt hat und anrückt, sind sie meist schon wieder weg.
 Inwiefern werden durch das Auftreten Jugendliche angesprochen und welche Risiken birgt dies mit sich?
Neonazis bieten mancherorts eine soziale Gemeinschaft und / oder eine Erlebniswelt, die durchaus anziehend wirkt. Gerade in Orten, wo nichts los ist, wo es keine subkulturellen Angebote gibt, werden sie auch zum Sozialisierungsfaktor. Das führt dazu, dass sich ihnen nicht nur politisch überzeugte Personen anschließen, sondern auch Jugendliche, die ein eher diffuses Weltbild mit rechten Versatzstücken habe. Da ist zum Beispiel die Fußballszene bedeutend: In Städten, wo es beispielsweise eine aktive Ultra-Szene gibt, die mit Nazis nichts zu tun haben will, haben es Nazis oft schwer, Leute zu gewinnen. In Städten, wo es keine erfahrbare Linke und auch keine gegen rechts auftretende Ultra-Szene gibt, haben sie es viel leichter. Und in Orten, wo Nazis selbstbewusst und zahlreich in der Fußballszene mitmischen, sieht es oft richtig finster aus.
Welche Gründe kann es geben, weshalb Fußball und Rechtsradikalismus oftmals miteinander einhergehen?
Es ist doch ein alter Hut, dass viele Neonazis in die Stadien gehen. In den 1970er und 1980er Jahren sind sie vielerorts beim Fußball offener aufgetreten als heute. Was sie dort fasziniert, ist auch schon vielfach beschrieben: Auf dem Rasen ein kampfgeprägter Männersport und auf den Rängen eine in der großen Mehrheit männliche Masse, die Parolen ruft und gerne dem Alkohol zuspricht. Probleme mit Nazis gibt es zum Beispiel auch in Eishockey-Stadien oder besonders beim Freefight. Aber nicht bei der Schwimm-WM oder beim Tennis. Warum wohl? Das kann natürlich nicht dazu führen, dass man jetzt den „Kampf“ verbietet und bei jedem Rempler die rote Karte zeigt, oder dass man Sprechchöre verbietet und kein Bier mehr ausschenkt. Aber die Fußballszenen müssen sich schon klar darüber sein, dass sie sich in einem Raum bewegen, der für Nazis Anknüpfungspunkte bietet.
Könnt ihr Aussagen darüber treffen, wie weit Rechtsradikalismus insgesamt in Deutschland verbreitet ist?
 Er ist viel weiter verbreitet als es die Mitgliederzahlen von NPD und Kameradschaften vermuten lassen. Es gibt ja viele seriöse Studien darüber, die – je nach Definition dessen, was „Rechtsradikalismus“ ist – gemeinhin von zehn bis 15, lokal auch schon mal mehr, Prozent der Bevölkerung ausgehen, die rechtsradikal denken. Bei vielen äußert sich das nicht gewaltförmig, viele von denen lehnen auch die NPD ab, weil sie ihnen zu radikal oder zu antibürgerlich erscheint. Alleine was Rassismus betrifft: Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung hat Vorbehalte gegen Menschen, die nicht Deutsche sind oder in ihren Augen nicht deutsch genug aussehen. Vielfach steht dahinter, dass man es zwar gut findet, dass Migrantinnen und Migraten zum Wohlstand hier beitragen, ihnen aber nicht zugesteht, an diesem Wohlstand teilzuhaben. Das sind nicht alles erklärte Rassisten und Rassistinnen. Aber die Grenzen zwischen Vorbehalten, Vorurteilen und offenem Rassismus sind vielfach fließend.
Welche Maßnahmen sind effektiv- insbesondere in Rahmen von Fußballspielen- um gegen Neonazis vorgehen zu können?
 Anknüpfend an eurer vorletzten Frage, ist es natürlich wichtig, den Nazis die Fußballränge so unattraktiv wie möglich zu gestalten und die Verantwortung anzunehmen, die jede Fanszene als Sozialisierungsort für Jugendliche hat. Die „von oben“ aufgesetzten Kampagnen wie jetzt erst „Geh deinen Weg!“ bewirken da nicht viel. Es muss von der Basis, sprich: aus den Blöcken, kommen. Je besser es gelingt, beispielsweise Menschen mit migrantischen Hintergrund vollwertig zu integrieren, je wohler sich Frauen dort fühlen, je mehr man dort auf diskriminierende Äußerungen verzichtet, umso mehr nimmt man den Rechten dort den Raum. Man kann ja gerne den gegnerischen Torwart beleidigen, aber warum ist „schwul“ eigentlich eine Beleidigung? Da passiert ja schon einiges auf den Fußballplätzen, da muss man jetzt beharrlich weitermachen und darf keinen Schritt mehr zurück gehen.
Wie sieht eure Arbeit diesbezüglich aus?
Naja, wir tingeln ja nicht durch die Stadien und versuchen Leute mit Thor Steinar-Klamotten rauszuschmeißen, was in manchem Stadion auch nicht gesundheitsfördernd für uns wäre.
 Wir sammeln Informationen und die stellen wir allen zur Verfügung, die sich gegen rechts wenden – in diesem Fall eben Fanclubs, Fanprojekte und so weiter. Wir wollen die Leute motivieren, dagegen aktiv zu werden. Und wir wollen ihnen klar machen, dass man es eben nicht ignorieren sollte, wenn sich eine Naziclique im Stadion breit macht oder wenn ein örtlicher Fan-Shop Thor Steinar und ähnliches verkauft. Die rechte Raumnahme verläuft sukzessiv, das heißt: in vielen kleinen Schritten. Spätestens wenn die Ersten aus einem Block abwandern, weil ihnen die Sprüche zu rechts werden oder weil der rechte Lifestyle überhand nimmt (was meist miteinander einhergeht), dann hat man Raum verloren, den man sich mühsam zurückerobern muss. Soweit muss es gar nicht kommen.
Inwiefern wird eure Arbeit von der Gesellschaft wahrgenommen und wert geschätzt?
120.000 verkaufte Exemplare der Broschüre „Versteckspiel“ und viele positive Rezensionen sind schon Ausdruck einer Wertschätzung, über die wir uns freuen und die uns auch zu Weiterem motiviert. Vor Ort erleben wir es oft, dass wir polarisieren. Da wir selten ein Blatt vor den Mund nehmen und die Situation so benennen, wie sie auch tatsächlich ist, bekommen wir viel Wertschätzung von Menschen, die die Situation genauso wahrnehmen. Die freuen sich darüber, dass mal jemand nicht in salbungsvollen Sätzen um das Problem drumrum redet. Die Bürgermeister oder die Vorsitzenden von Schützenvereinen sind in der Regel wenig erbaut, wenn wir aufzeigen, wie tief Neonazis bei ihnen in die Jugend- und Alltagskultur und ins Vereinsleben eindringen, wo es doch angeblich vor Ort „überhaupt kein Problem“ gibt. Es gibt schon den einen oder anderen Ort, da waren wir nur einmal…
Gab es bezüglich eurer Arbeit besondere Erfolgs- oder Frustrationsmomente, die ihr uns schildern möchtet?
Überall, wo Nazis Raum verlieren, gibt es einen Erfolg. Und wenn wir vielleicht auch nur minimal dazu beitragen konnten (in dem beispielsweise jemand unsere Broschüre gelesen hat, in der Folge Sachen erkannt und gehandelt hat), dann ist das auch ein Erfolg für unsere Arbeit. Insofern haben wir schon viele kleine Erfolgsmomente erlebt. Was uns frustriert, ist, dass sich die Diskussion immer noch viel zu häufig um die Frage dreht: Was ist verboten?Darum ging es uns aber nie.
 Vielen Dank für das Beantworten unserer Fragen und alles Gute für die Zukunft!